Aita Flury - Switzerland Apartment Building "La Contenta" Gassa Sutò 58, Domat / Ems 2015 |
Das
2015 fertig gestellte MFH La Contenta in Domat/Ems spielt nicht nur in
seinem Namen auf Palladios La Malcontenta an (Villa Foscari Malcontenta
di Gambarare di Mira (Ve)): der Entwurf des MFH in Domat/Ems wurde
wesentlich von räumlichen Anliegen an- und umgetrieben, die aus der
zeitgleichen Beschäftigung mit Palladios Werk herrühren. Die
Malcontenta steht hier aber weniger als direktes Vergleichsobjekt, wie
es Colin Rowe in seinem Essay „Mathematik der idealen Villa“ mit Le
Corbusiers Villa Garche vorführt (und teilweise überdehnt), sondern
vielmehr als pars pro toto für grundsätzliche Aspekte, die an Palladios
Werken faszinieren: Seine grosse, selbstauferlegte Sparsamkeit an
Ideen, sein Raumdenken, das sich stets in einem dezidiert gesteckten
Rahmen dreht, in welchem er gruppiert und umgruppiert. Sein Ringen um
harmonische Verhältnisse und Massstäblichkeit, das sich nicht auf
Äusseres beschränkt, sondern die einzelnen Räume im Innern und deren
Beziehung zueinander genauso fokussiert. Sein stetiges Agieren zwischen
Regel und Freiheit, seine Agilität über die Autorität der Antike
hinauszugehen, kurz seine Transformationskompetenz: Im Gegensatz zu
seinen Epigonen ist Palladio nicht serviler Kopierer, sondern strebt –
trotz oder wegen seines enormen Wissens - stets nach Verwandlung und
Umformung. Diese ist immer anwendungsbezogen und beinhaltet sowohl
typologische Weiterentwicklungen als auch konstruktive Neuerungen, mit
denen er auf das Konkrete, auf kontextuelle, programmatische
Anforderungen reagieren kann. Genau so wie in seinen Werken stets eine
Art „Ursprung“ aufscheint, etablieren die alt-vertrauten, elementaren
architektonischen Mittel stets eine eigene, neue Ordnung.
Jede Architektur wird primär durch die Erscheinungsform des Baukörpers geprägt. Ein antikes Prinzip, dem Palladio folgt, sind klare, einfach geformte Baukörper: Schlichte, dreidimensionale Blöcke, die den grösstmöglichen Gegensatz, die grösstmögliche Abstraktion zu den organischen Formen der Natur darstellen – Kultur und Natur als kontrastierendes, sich gegenseitig steigerndes Prinzip. Es ist die Bestimmtheit und Klarheit der äusseren Gestalt, die optische Festigkeit der Baukörper, Würde, Grosszügigkeit und Erhabenheit hervorrufen. Es ist kluges Masshalten und Abwägen von Innen mit Aussen verzahnenden Verbindungsräumen und allgemein gliedernder Massnahmen, die zu optisch ausgewogenen Baukörpern führen, deren innere komplexe Ordnung auf den ersten Blick verschleiert bleibt. Der Entwurf für das MFH La Contenta stand (nebst finanzieller Limitiertheit) unter Druck von Schrägdachvorschriften (Kernzone) in Komination mit heutigen Aussenraumansprüchen. Auf einer praktisch quadratischen Parzelle galt es ein beachtliches, viergeschossiges Volumen mit einem Fussabdruck von rund 300m2 in einen historischen Kontext von um ein Vielfaches kleinere, kubisch-reine Solitärbauten einzubinden. Diese Ausgangslage warf als erstes die Frage nach dem Verschränkungsgrad von Körperraum und Umraum auf. Die Disposition der Aussenräume im Grundriss präjudiziert dabei die räumlichen Konsequenzen: Wie kann das Volumen möglichst kubisch gehalten werden, welchen Einzugsgrad zeigen die Aussenräume, wie finden solche in der Gebäudemitte mit solchen an Gebäudeecken zusammen? Wie werden Wand- und Pfeilerarchitektur untereinander gearbeitet? Die intensive Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Säulen und Mauern - gemäss Goethe ein ewiger Widerspruch – führen Palladios Villen in zahlreichen Varianten vor: Der Portikus tritt mal frei aus dem Block hervor (Bsp. La Malcontenta) oder die Tempelfront tritt aussenbündig in die Ebene der Hausfront zurück (Bsp. Emo) oder dehnt sich gar über die ganze Hausbreite aus (Bsp. Thiene). Die Virtuosität in der Verschmelzung von Wand- und Säulenarchitektur zeigt sich besonders auch im Schnitt: der Zusammenschluss von Giebel und Rahmen über Säulen ist in einer Backsteinarchitektur ein konstruktiv äusserst kompliziertes Detail. Beim MFH La Contenta sind die Übergangsräume als Loggien ins Haus eingelassen. Zum Strassenraum hin sind sie komplett in den Gebäudekubus integriert, während auf der Parkseite die Bodenplatten mit ihren expressiven Wasserspeiern in den Grünraum vorspringen. Die Eckloggien zeigen mächtige Pfeiler, die wiederum auf optische Festigkeit hin dimensioniert sind. Die an den Rändern verdickten Betonbodenplatten bilden zusammen mit den freistehenden Pfeilern und den Wandpfeilern eine feine Rahmung - sie schnüren den Aussenraum im Übergang zum freien Raum leicht ein. In Kombination mit dem schrägen Dach entsteht eine beträchtliche Diversität an Übergangsräumen, die ein variantenreiches Fügen von horizontalen und vertikalen Bauteilen mit sich bringt. Die vertikale Entwicklung eines Baukörpers prägt seinen Charakter wesentlich. Währenddem bei Palladios Villen das Dach meist als additives, zusätzlich oben aufliegendes Gewicht in Erscheinung tritt, verklammert beim MFH La Contenta ein auf- und ab bewegtes Dach Haus und Himmel miteinander. Die fassadenbündigen, über die Traufe rhythmisch hinaus stossenden Loggiatürme - wovon einer ausschliesslich optischer Kunstgriff ist - bilden eine unverkennbare, identitätsstiftende Silhouette und versetzen den Dachrand in leichte Schwingung. Die baugesetzlichen Parameter (2/3 Regelung von Dachaufbauten über Traufe) sind eingehalten, verschwinden aber komplett hinter einem räumlichen Thema. Die Verzahnung von Fassade und Dach, die aus der inneren Struktur heraus entwickelt ist, fördert die kubische Erscheinung des Baukörpers und zieht diesen optisch in die Höhe. Palladios Villen reagieren auf ihre Umgebung stets mit Fassaden, die seitenabhängig und kontextuell radikal unterschiedlich behandelt werden (mit der Rotunda als Ausnahme): Bei der Malcontenta z.B. steht der theatralischen Fassade mit Portikus zum Fluss hin eine etwas weniger plastische, aber mit feinem Mittelrisalit und Rundfenster die Mitte betonende Fassade zur offenen Landschaft hin vis à vis – die Seitenfassaden sind geschlossener gehalten und zeigen einfache, seriell angeordnete Lochfenster. Breite Bänder aus rohbelassenem, rotem Backstein umgreifen das Gebäude und bilden dessen dreifache, vertikale Teilung in Funktionsräume (EG/2.OG) und repräsentative Wohnräume (piano nobile 1.OG) ab. Diese Material-Ornamente führen einen horizontalen Rhythmus ein - sie sind vorsichtig kontrollierendes Spiel, das die feine Plastizität des Gebäudes unterstützt. Die Hierarchisierung der Gebäudeseiten wird beim MFH La Contenta mittels repräsentativer „Fassadenschilder“ zum Strassen- und Parkraum hin realisiert. Darin überwiegen die Öffnungen gegenüber den geschlossenen Wandanteilen klar. Horizontale und vertikale Flächen sind miteinander zu einem grid verwoben. Um den Höhentrieb des eher gedrungenen Volumens zu unterstützen, werden die Horizontalen herunter gespielt währenddem die Vertikalen lisenenartig nach oben ziehen. Den grossen Öffnungen sind auf einer zweiten Tiefenebene Felder aus „gefütterten“ Backsteinen9 eingeschrieben. Diese sekundierenden Akustikklinker-Ornamente verringern den Öffnungsgrad und führen eine weitere, vertikalisierende Gliederungsebene ein. Mit ihren planerisch gnadenlosen Abmessungen von 24cm/24cm/3cm werden sie zum Haus bestimmenden „Modulor“, setzen die Stockwerke in massliche Beziehung zueinander. Sie tauchen im Weiteren überall dort auf, wo der Mensch mit dem Gebäude aussen in taktile Berührung kommen kann. Durch ihre Dimensionen wirken sie optisch solid - nichts desto trotz verweisen die Kreuzfugen aber auf die heutige Zeit, in welcher (leider!) geklebt und nicht im Verband gemauert wird. Die Organisation der Grundrisse ist für Palladios Villen und Paläste ein wesentliches Charakteristikum: Aus unterschiedlich grossen Rechtecken von oft gleichen oder ähnlichen Proportionen etabliert er jeweils ein System von Leerräumen, welche voneinander durch kleine Durchgänge separiert sind. Dies erlaubt differenzierte Schnittfiguren der einzelnen Raumzellen, die Identität und Autonomie jedes einzelnen Leerraums fördern. Stets ist das Streben nach völliger Klarheit und idealer Gruppierung der Einheiten, das Ringen um harmonische Verhältnisse spürbar. An den Grundrissfiguren interessiert insofern weniger deren Schema oder Formalisierung, nicht Symmetrie oder Kreuzförmigkeit. Es betrifft viel grundsätzlicher die Kunst, durch unermüdliches Gruppieren und Umgruppieren eine Varietät an Zellen miteinander zu einer räumlichen Einheit zu vergiessen, die unsere Sinne nicht nur im Plan als ausgewogen empfinden. Dieses Ziel vor Augen sucht die Grundrissfigur des MFH La Contenta nach Austarierung ihrer Raumzellen: Wie in den palladianisch – ganglosen Systemen werden eher quadratische Rechtecke (Vermeidung von Schlauchräumen) zueinander in Beziehung gebracht. Diese Raumzellen sind dabei eindeutig als einzelne Einheiten erfahrbar, wenngleich sie meist lateral über eine grössere Schiebetüröffnung mit dem nächsten Raum optisch verspannt sind. Ähnlich wie bei der Fassade dreht es sich wieder um das Aushandeln von Ruhe und Dynamik, Offenheit und Geschlossenheit, Isolierungs- und Verschränkungsgrad. Die Verhältnisse werden dabei von Stockwerk zu Stockwerk leicht variiert. In den Maisonetten des 3.OG/Dachgeschoss nimmt der Offenheitsgrad zu - der Raum wirkt fliessender, die Raumfiguren emanzipieren sich und werden tendenziell uneindeutiger. Spätestens im Dachgeschoss wird klar, dass die um einen Treppenhauskern rotierende Bewegung der Raumkränze in den unteren Geschossen von einer zweiten, statisch - konstruktiven Logik überlagert wird: Das in den unteren Ebenen bereits aufblitzende Schottensystem prägt hier oben den Raumeindruck stärker, obschon partiell die Scheiben in Form sich verjüngender Unterzüge an ihre konstruktive Grenze getrieben werden. Die Schotten prägen hier die Schnittfiguren (die Raumstimmung oszilliert zwischen plan libre und plan paralysé) und bilden die innere Struktur, aus welcher sich die Dachform und der Rhythmus der Fassadenschilder heraus entwickeln. (Text: Aita Flury) |